Sonntag, 2. Dezember 2012

Manjushri, Bodhisattva der Weisheit


Manjushri, Bodhisattva der Weisheit

Manjushri Wandmalerei in Kathmandu
Buddhas und Bodhisattvas verkörpern die Essenz eines spezifischen Geistesaspekts. So gibt es Buddhas oder Bodhisattvas für die Medizin, für das universale Licht, für das liebende Mitgefühl etc. Bodhisattvas sind Erleuchtungswesen.
Der Bodhisattva Manjushri vereint in sich die Essenz der Weisheit. Allerdings sollten wir diese Weisheit nicht mit lexikalischem oder enzyklopädischem Wissen verwechseln. Worum geht es? Manjushri weiß sicherlich nichts darüber, wer die letzte  Fußball-weltmeisterschaft gewonnen oder wer dieses Jahr den Literaturnobelpreis erhalten hat.

In der tibetischen Tradition bedeutet Weisheit etwas anderes, als bei uns im Abendland.
Nehmen wir ein Beispiel dafür, was mit Weisheit gemeint ist. Manjushri als Bodhisattva der Weisheit hätte im letzten Jahrhundert ganz bestimmt ein großes NEIN zu Atomkraft gesagt, weil die Entdeckung der Atomkraft zwar eine kluge wissenschaftliche Leistung darstellt,  diese Klugheit jedoch nicht identisch ist mit Weisheit. Ich nenne sie "kalte Klugheit", die mit wirklicher, humaner und universeller Weisheit kaum etwas gemeinsam hat.
Um im Beispiel zu bleiben: die Atomkraft hat zwar kurzfristig billige Energie geliefert und einigen viel Profit eingebracht, langfristig aber Tod und Zerstörung verursacht  - Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl, Fukushima oder die Folgen der vielen Atomtests. 
 
Ein aderer Aspekt der Weisheit ist, die wahre Natur des Geistes zu erkennen: die Leerheit, das ursprüngliche Gewahrsein oder die untrennbare Einheit.


 Manjushri, Bronze (Foto: Jonas Pitz)
Die Weisheit des Manjushri bewirkt Frieden und Liebe im Einklang und schonenden Umgang mit der Natur.

Vor einigen Jahren nahm ich teil an einer Manjushri-Einweihung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Dort wurde eine Übung vorgeschlagen, um ein "kaltes" Wissensobjekt zur "warmen" Weisheit zu transformieren (das mit der Temperatur ist meine Interpretation).
Die Übung ist ungewöhnlich. Sie wirkt ausschließlich dann, wenn sie nicht nur gehört oder gelesen, sondern auch ausgeführt wird. Man setzt sich bequem hin, schließt die Augen, reinigt den eigenen Geist durch einige bewusste Atemzüge und formt aus der Zunge einen Trichter, indem die Zunge zum Gaumen nach oben gepresst wird. Man stellt sich vor, dass das Objekt oder die Idee aus dem "Kopf" langsam zum liebenden Herzen hinuntersickert. Dafür brauchen wir einige Minuten Zeit. Als Beispiel kann man einen Wunsch nehmen - etwa eine Reise. Man visualisiert dann die erwünschte Reise und lässt sie zum mitfühlenden und liebenden Herzen "hinuntertropfen". Dann wartet man eine Weile und spürt nach, schaut nach, was passiert. Es werden Gefühle und Gedanken kommen, die sich vermischen. Möglicherweise gelangt man zu einem Ergebnis, das mit einer tieferen Wahrheit zu tun hat. Diese tiefere Wahrheit ist eine gefühlte, durch Gefühle geprüfte, menschliche oder universelle Wahrheit und dadurch auch Weisheit.
Ich verwende diese Übung des öfteren, kombiniert mit einer Übung von Ramana Maharshi. Ich bilde einen Trichter, wie oben beschrieben und lass die Frage "durchsickern": Wer ist es, dem/r dieser oder jener Gedanke kommt?" Im Moment, wenn die Antwort im Herzen spürbar wird, öffnet sich eine tiefe Verbundenheit zwischen dem "Ich" und dem noch größeren "Ich Ich", das als die stille, raum- und zeitlose Ganzheit oder untrennbare Einheit genannt werden könnte.

Manjushri wird übrigens auch in spirituellen oder astrologischen Angelegenheiten um Rat gefragt.

Der Geist ist willig...


Zu einem Manjushri-Fest war ich einmal in Kathmandu eingeladen.
Die Meditation schien mit der oben beschriebenen identisch zu sein: der Trichter im Mund wurde gebildet, Gedanken flossen zum Herzen, es gab Ergebnisse, Ruhe, Frieden und tatsächlich stellte sich ein Herzenswissen spürbar ein.

Ich schaute auf meine Uhr. Wir hatten erstaunliche drei Stunden mit der Übung auf dem Boden gesessen. Ich fühlte mich leicht und glücklich, wäre nur das irdische Hungergefühl nicht so stark gewesen. Wie heißt es so schön: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach! 

Mein frisch geschulter Geist wünschte sich ein üppiges Curry-Gericht. Und siehe da, die Mönche in der Küche servierten eine wunderbare Curry-Mahlzeit zum Manjushri-Fest. Es gab sogar den wunderbar ranzig schmeckenden Yakbutter-Tee dazu.


Eine Klosterküche in Kathmandu